Evangelisch Lutherische Kirchengemeinde Markt Erlbach

Buchempfehlungen des Büchereiteams:

 

 

 

NEUE Buchempfehlung des Büchereiteams:

 

Sheila von Torey L. Hayden     

 

Durch ERziehung zu BEziehung  - eine Maxime, die man nach der Lektüre dieses Buches - das übrigens auf einer wahren Begebenheit in einem amerikanischen Bundesstaat beruht -, durchaus in Frage stellen mag.

 

Denn was, wenn Erziehung nicht mehr möglich erscheint? So wie bei der gewalttätigen sechsjährigen Sheila, per richterlichen Beschluss als nicht therapiefähig und unsozialisierbar zur Einweisung in die Kinderpsychiatrie verurteilt.

Da dort kein Platz frei ist, muss Torey Hayden sie übergangsweise in ihrer Sonderschulklasse aufnehmen .

Eine nahezu unlösbare Aufgabe für Torey, die mit unglaublichem Engagement unter ohnehin schon nicht idealen Bedingungen unterrichtet: acht schwerstgestörte Kinder, ein dunkles, viel zu kleines Klassenzimmer, ein ungelernter lateinamerikanischer Sozialhilfeempfänger als Unterstützung, wenig Rückhalt bei Kollegen und Schulleitung. Als Zugeständnis erhält sie mit einer vollkommen verschüchterten Praktikantin eine zusätzliche Hilfskraft.

Torey erkennt relativ schnell die große Begabung des Mädchens. Aber wird sie das Kind in die Klassengemeinschaft integrieren können? Wird sie es dazu bewegen können, sein Potential auszuschöpfen? Ein Kind, das jegliche Mitarbeit verweigert: „Du kannst mich nicht dazu bringen!“ Nicht zum Reden, nicht zum Rechnen, nicht zum Schreiben, nicht einmal zum Weinen. Ein Kind, das seinen Schmerz in seiner Seele verschließt, der sich jedoch immer wieder in grenzenloser Zerstörungswut einen Weg nach außen bahnt. Ein Kind, das seinen Mitmenschen so ihre Grenzen und ihre Ohnmacht, die es wohl selbst empfindet, aufzeigt.

Wird Torey mit ihrer Pädagogik des Herzens das Mädchen erreichen können? Angetrieben von ihrem Ehrgeiz, das intelligente Kind für den Besuch einer Regelschule qualifizieren zu wollen, lässt sie sich in Machtkämpfe verwickeln, verliert mehrfach die Geduld, macht mühsam erzielte Fortschritte zunichte, zweifelt schließlich an sich selbst.

Dabei wollte sie doch den Schlüssel zur Seele des Mädchens finden. War also alle Mühe vergebens?

Zum Glück gibt es Bücher! Zum Glück eine Klassenbücherei! Beim Vorlesen findet Sheila den Schlüssel selbst. Der Fuchs in Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz hat ihn: Er weiß um die Bedeutung des Zähmens. Sheila beginnt zu begreifen und öffnet sich vorsichtig. 

Kann Torey nun ihr Ziel erreichen? Sheila macht Fortschritte im Sozialverhalten, die Beziehung zwischen ihr und ihrer Lehrerin jedoch gerät zur Abhängigkeit. Zum Schuljahresende soll Toreys Klasse wegen fehlender Gelder aufgelöst werden. Und natürlich will Sheila in keine andere Klasse, geschweige denn zu einer anderen Lehrkraft, fühlt sich im Stich gelassen. Neue Kämpfe. Wieder Selbstzweifel. Hat Torey zu viele Gefühle investiert, das Kind durch ihre Liebe von sich abhängig gemacht. Zum Glück hat der Fuchs dem kleinen Prinzen zum Abschied noch sein Geheimnis verraten – ein Geheimnis, das die Menschen vergessen haben.

Scheint so, denn sonst hätte BEziehung Vorrang vor ERziehung. Und vielleicht würde Erziehung dann, auch in vermeintlich aussichtslosen Fällen, wieder besser gelingen.

 

Dieses Buch zeigt, dass Erziehung mit Herz eine Gratwanderung und überaus spannend ist. Jeder Erziehende wird sich, wenn vielleicht auch nicht in dem extremen Maße, hierin wiederfinden. Ein sehr lesenswertes Buch, nicht nur für Erziehende.

 

 

 

 

 

 

 

Mirjam Pressler hat Geburtstag!

 

Mirjam Pressler ist eine bekannte deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin. Für ihre Werke, von denen auch einige in unserer Bücherei zu finden sind,  erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Ihr Interesse gilt vor allem den Kindern, denn ihr Motto lautet: „Nimm deine Kindheit und lauf! Eine andere bekommst du nicht!“ Ist sie doch selbst nur bei Pflegeeltern aufgewachsen.

 

Mirjam Pressler wurde am 18. Juni 1940 in Darmstadt geboren. Nach dem Abitur studierte sie Bildende Kunst in Frankfurt sowie Sprachen in München. Danach lebte sie 1 Jahr lang in einem Kibbuz in Israel. Wieder in Deutschland, übte sie verschiedene Jobs aus und führte sogar einmal einen eigenen Jeansladen.

Sie hat inzwischen 3 erwachsene Töchter und 5 Enkelkinder und lebt heute in einem alten Haus mit großem Garten auf dem Land in der Nähe von München.

 

Sie begann erst mit 39 Jahren zu schreiben. Bitterschokolade ist ihr erstes veröffentlichtes Werk. Seitdem folgten über 30 Romane, Erstlesetexte und Bilderbücher. Außerdem übersetzte sie über 300 Bücher von anderen Autoren, z.B. aus dem Englischen, dem Flämischen und Hebräischen (die beiden letztgenannten Sprachen brachte sie sich selbst bei).

Dass Kinder in einer gewaltfreien Welt aufwachsen mögen, in der sie selbstbestimmt leben  können, ist ihre Vision.

 

Diese Vision manifestiert sich vielfach in ihren Werken, von denen wir nach Nathan und seine Kinder im folgenden gerne noch zwei weitere empfehlen möchten:

 

 

 

Malka Mai

 

Hanna Mai, die Mutter der siebenjährigen Malka Mai, ist Ärztin im Hitler-besetzten Polen und jüdischer Abstammung. Ihr Mann hat sich schon lange nach Eretz Israel abgesetzt. Doch sie, die Ärztin, die auch deutsche Soldaten behandelt und mit diesen freundschaftliche Beziehungen unterhält, hätte nie geglaubt, dass sie jemals von einer „Aktion“ der Nazi betroffen sein könnte. So muss sie überstürzt mit Malka die Flucht über die Karpaten ins benachbarte Ungarn antreten. Doch die ist beschwerlich. Zu beschwerlich für die kleine Malka. Hanna muss sie zurücklassen. Beide müssen sich getrennt durchschlagen. Während Hanna verzweifelt gegen ihre Schuldgefühle ankämpft, taucht Malka ein in eine Scheinwelt, die ihr das Gefühl von Hunger, Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit ertragen hilft.

Werden Mutter und Tochter sich je wiederfinden? Wird Hanna sich vergeben können? Wird Malka das Erlebte überwinden und ihrer Mutter vergeben können?

 

Der Roman schildert eindrücklich die Zwänge und Entscheidungskonflikte einer Mutter sowie

die unglaublichen Fähigkeiten eines Kindes, sich einer Realität, die für dieses nicht mehr begreiflich und nahezu unerträglich ist, zu verschließen, emotionale Schutzräume aufzubauen und so zu überleben, auch wenn seelische Narben bleiben.

Der Roman ist empfohlen für Jugendliche ab 14 Jahren, aber auch von Erwachsenen gut zu lesen.

 

Golem stiller Bruder

 

Ein weiterer historischer Roman, den man von einer Kinder- und Jugendbuchautorin nicht unbedingt erwartet, befasst er sich doch mit fundamentalen Lebens- und Glaubensfragen, mit denen sich die jüdisch-orthodoxen Bewohner des Judenviertels im Prag des 16. Jahrhunderts auseinandersetzen müssen. Und den Leser gewaltig ins Grübeln bringen.

 

Die Erzählung  rankt sich um einen Golem, ein legendäres Wesen aus der jüdischen Mystik, den der angesehene Rabbi Löw aus Lehm erschuf zu dem Zwecke, die Juden vor den wiederholten Übergriffen der christlichen Bevölkerung Prags zu schützen,  in der sich hartnäckig das Gerücht hält, die Juden begingen Ritualmorde, da sie Christenblut zur Ausübung ihrer Religion benötigten.

 

Unheimlich mutet er an, dieser Lehmmann: erschaffen, nur um zu gehorchen, ausgestattet mit besonderen Kräften, jedoch ohne eigenes Sprachvermögen, ohne eigenen Verstand, ohne eigenen Willen. Und trägt den Namen Josef. Tatsächlich seelen- und gefühllos? Jankel, der Neffe des Rabbis, beginnt nach anfänglicher Abscheu Gefühle zu ihm wie zu einem großen Bruder zu entwickeln. Die Josef nicht erwidern kann. Oder etwa doch? Will die Autorin hier vage andeuten, was Schöpfung eigentlich ist? Macht erst Beziehung wirklich lebendig?

 

Rabbi Löw weiß, dass er den Golem wieder seinem Ursprung überführen muss. Doch vermag er zu entscheiden, wann Josef nicht mehr benötigt wird? Kann er Jankels Gefühle einfach übergehen? Unheil bahnt sich an. Unheil, das schon von der ersten Seite an unterschwellig zu

spüren war.

 

Josef - Ein Segen oder ein Fluch?

 

Es kommt zu einem schrecklichen Unglück, das unzählige Fragen aufwirft: Hätte der Golem überhaupt erschaffen werden dürfen? Hat sich der Rabbi mit Josefs Erschaffung nicht  zum Herrn über Leben und Tod gemacht? War der Golem etwa eine Versuchung  wie die Schlange für Adam und Eva? Hätte Rabbi Löw vielmehr auf den ewigen Herrn vertrauen sollen anstatt auf ein Wissen, dessen Folgen und Gefahren er gar nicht hatte abschätzen können? Warum aber hat Gott dem Rabbi dieses Wissen dann gegeben?

Fragen über Fragen. Keine Antworten. Auch nicht für den überaus gelehrten Rabbi Löw. Er vermag die Antworten, die seine Glaubensbrüder in den heiligen Schriften zu finden suchen, für sich nicht gelten lassen. Vermag sich nicht freizumachen vom Gefühl der Schuld. Der Schuld, nicht vorher gefragt zu haben. Und sich nicht eingestanden zu haben, die Antwort nicht zu kennen.

 

Fragen auch an den Leser? Sollten wir vielleicht heute auch eben diese Fragen stellen? In einer Zeit, in der computergesteuerte Systeme uns schon mehr beherrschen als wir sie. In einer Zeit, in der die Forschung in Dimensionen vordringt, deren ethische und moralische Reichweite wir kaum noch überblicken?

 

Der Roman ist empfohlen für Jugendliche ab 14 Jahren und auch Erwachsenen sehr zu empfehlen. Er eignet sich außerdem gut als Grundlage für Gespräche mit Jugendlichen.

 

 

 

 

 

Mirjam Presslers Nathan und seine Kinder        

 

Dass Nathan, der Weise von Gotthold Emphraim Lessing stammt, dürfte wohl bekannt sein. Dass es dabei um das Nebeneinander der drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam geht, vielleicht auch noch. Wie viele könnten aber den Inhalt dieses Dramas genauer wiedergeben oder gar mit der Ringparabel etwas anfangen?

Dabei ist dieses Thema heute wieder aktueller denn je. Aber die Handlung in Lessings Bühnenwerk nachlesen dürfte indes etwas mühselig sein. Dessen war sich auch Mirjam Pressler bewusst und verfasste deshalb einen Roman, zu dem ihr dieser Stoff als Vorlage diente.

 

Mirjam Pressler ist eine renommierte Autorin von Jugendbüchern, der vorliegende Roman allerdings richtet sich eher an ältere Jugendliche und Erwachsene . Die Sprache ist einfach gehalten, gleichzeitig jedoch so eindrücklich, dass man sich das Jerusalem zur Zeit des Waffenstillstands kurz nach dem dritten Kreuzzug um 1191/92 bildlich sehr gut vorstellen kann.

 

Vor diesem historischen Hintergrund nämlich, der durch zahlreiche Rückblendungen ausführlich geschildert wird, spielt sich die Geschichte von Nathan und den ihm nahestehenden Personen, eben seinen „Kindern“, ab:

Die Tochter Recha des reichen jüdischen Handelskaufmanns Nathan wird in letzter Minute aus den Flammen ihres Hauses vom Tempelritter Curd von Stauffen gerettet. Der Christ ist der einzige Überlebende des Templerordens in Jerusalem, da er war wegen seiner Ähnlichkeit mit dem verschollenen Bruder des mächtigen moslemischen Sultans Saladin verschont worden war. Nathan, der seine frühere Familie schon einmal durch einen Hausbrand verloren hatte, will dem Christen seine Dankbarkeit erweisen, doch dieser lehnt jede weitere Verbindung mit dem Juden ab, wenngleich ihm das bildhübsche Mädchen nicht mehr aus dem Sinn geht.

Der Sultan, dem die Rückeroberung Jerusalems teuer zu stehen kam, möchte die restlichen noch im Land verbliebenen Christen endgültig vertreiben, benötigt dazu aber Geld, das er sich auf Anraten seiner Ratgeber von dem jüdischen Kaufmann leihen soll. Natürlich ist eine solche Vorgehensweise unter Würde eines so mächtigen Sultans und Moslems. Also zitiert er Nathan in seinen Palast und stellt ihm eine Falle in Form einer Fangfrage: Der weise Nathan solle ihm doch sagen, welcher Glaube denn der rechte sei, der muslimische, der christliche oder der jüdische?

Wird Nathan sich aus der Schlinge ziehen können? Werden er bzw. seine Tochter und der Tempelritter zueinander finden?

 

Von Kapitel zu Kapitel wird der Spannungsbogen gesteigert, nicht zuletzt dadurch, dass in jedem Kapital die Erzählperson wechselt und den Fortgang der Handlung aus jeweils ihrer Sicht weitererzählt. Darüber hinaus geht von diesem Buch sehr viel Friede aus: Trotz des Leids, das der Kreuzzug für jeden einzelnen mit sich gebracht hat, haben sie sich alle mehr oder minder in ihr Schicksal gefügt, so dass selbst das Ende beträchtlich an Tragik verliert. Bemerkenswert ist auch, dass keiner der drei Glaubensvertreter besser oder bedrohlicher als der andere dargestellt wird, sondern alle drei gleichermaßen sympathische wie auch mit Fehlern behaftete Züge aufweisen.

Ein absolut lesenswertes Buch! Und wie könnte man sich sonst noch auf unterhaltsamere Weise ein wenig Bildung aneignen?