Des Unschuldigen Schuld

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb die Holocaust-Überlebende Gerty Spies (1897 – 1997) das folgende Gedicht. Viele Jahrhunderte lang war ausgerechnet der Karfreitag ein Tag besonders aggressiver Judenfeindschaft. Juden wurden als Christusmörder angeklagt. Dabei trug geschichtlich gesehen die römische Verwaltung die juristische Verantwortung für die Hinrichtung und geistlich gesehen ist es unser aller Schuld, die Jesus am Kreuz trägt.

 

„Was ist des Unschuldigen Schuld –

wo beginnt sie? - 

Sie beginnt da, -

Wo er gelassen, mit hängenden Armen-

Schulterzuckend daneben steht, -

Den Mantel zugeknöpft, die Zigarette –

Anzündet und spricht: -

Da kann man nichts machen. –

Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld.“

 

Neukirchner Kalender 2. April 2021

 

 

Freitag 2. Dezember

Schuld

O mein Gott! So entsetzlich viele Menschen auf der Erde leiden.

Ich fühle mich schuldig, dass ich in Frieden und Wohlstand leben darf,

während andere Krieg erleiden und im Hunger sterben.

Ich fühle mich schuldig, weil ich viel zu wenig tue, um diese Welt gerechter zu machen.

Ich fühle mich schuldig, weil ich das Leben genieße, während andere im Elend versinken.

Ich fühle mich schuldig, wenn ich mich anpasse und bequem werde,

den Blick abwende vom Leid der Welt.

Gib du mir den Mut, widerständig zu sein. Und vergib mir meine Schuld.

 

Margot Käßmann

 

Aus: In Gottes Hand gehalten

Bilder und Bastelei von ukrainischen  Flüchtlingskindern, die in Eichenau von einer Gruppe Ehrenamtlicher betreut werden.