Staunen     

 

Staunen ist ein Risiko.

 

Wer staunt, steht erst einmal dumm da,

mit aufgerissenen Augen, offenem Mund und hängenden Schultern, erstarrt. In diesem Moment ist all seine Souveränität und Selbstsicherheit dahin. Das Wort staunen“ kommt vom schweizerischen „stunen“  und bedeutet: starr blicken, erstarren. Wer staunt, ist aus dem Gleichgewicht, hilflos gegenüber dem Unerhörten und unfähig es in Worte zu fassen. Er ist ergriffen und irritiert von dem Fremden, das da gerade auf ihn einstürmt. Uncooler geht es nicht. Der Staunende wird zum großäugigen Kind. Bei Erwachsenen ist das immer ein wenig peinlich.

 

Anders aber ist der Panzer der Wirklichkeitsverkürzung nicht zu durchbrechen, der den Staunenlosen auf sich selbst reduziert. Wer staunen können will, muss sich angreifbar machen, sich treffen lassen, muss die Wahrheiten, die er mit sich durchs Leben führt, als vorletzte sehen lernen. Wer sich im Besitz der ewigen Wahrheit wähnt ist so wenig staunensfähig wie jener, der sein Leben auf das Nächstliegende und Offensichtliche beschränkt. Staunen ist immer auch ungläubiges Staunen, das Gewissheiten über den Haufen wirft und alle ins Stottern bringt, die allzu genau wissen, wie das geht mit dem Glauben. Das Staunen ist der Feind der religiösen wie der politischen Fundamentalisten, weil es ihnen sagt: Es gibt mehr, als dein Weltbild glauben machen will.

 

Die Weihnachtsgeschichte ist auf dieses irritierende, unbändige Staunen hin angelegt, das die Konventionen sprengt und das Gewohnte durcheinander wirft.

 

Mehr Mut zum Staunen, das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk: mehr Mut, sich berühren zu lassen von etwas, das größer ist als man selbst, der eigene Horizont, das eigene Wissen. Der Himmel ist offen, wenn man lernt, ihn offen zu sehen, ob religiös oder nicht. Und dann ist: „Boa hey!“ tatsächlich einer der Namen Gottes.   

 

Matthias Drobinski

Dienstag 10. Dezember