10. Dezember

Die Vorstellung, dass Berge Orte sind, an denen man Gott begegnen kann, hat in Korea eine sehr lange buddhistische, konfuzianische und volkstümliche  Tradition.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen christliche  Missionare aus den USA  in Korea  Menschen  zu ihrem Glauben zu bekehren.

 

Da Christen ihren Glauben nicht offen und frei zeigen durften, stiegen sie nachts heimlich auf abgelegene Berge, um dort zu beten. In Korea ist es bis heute üblich, dass man laut betet, nicht still in sich hinein. Wer also damals beten wollte, brauchte einen Ort, an dem die eigenen Rufe zu Gott ihn nicht in Gefahr bringen würden. Was lag näher, als auf einen der vielen Berge (Korea besteht zu 70 % aus Gebirge) zu steigen? Inbrünstig und verzweifelt müssen die ersten bedrängten Christen von dort ihre Klagen und Bitten vor Gott gebracht haben. Daraus entwickelte sich in den 1940er Jahren eine eigenständige Frömmigkeitsform: „The Prayer Mountain Movement“.

 

Die „Yoido Full Gospel Church“, die größte pfingstlerische Gemeinde in Korea, hat diese Tradition aufgegriffen und 1973 auf einem Berg bei Paju ein riesiges Zentrum für mehr als 10 000 Menschen errichtet – mit Unterkünften, Restaurants, einer großen modernen Kirche u.v.m. Charismatische Gottesdienste werden hier gefeiert mit ansteckend fröhlicher Popmusik, strengen Predigten, Heilungswundern und ekstatischen Zungenreden.

 

Zum Beten nutzen die Besucher vor allem die über zweihundert „Gebetsgrotten“. Sie sehen eher wie Umkleidekabinen aus. In diesen kargen, nur mit einer Bodenmatte und einer schlichten Lichtquelle ausgestatteten Zellen können die Besucher sich ganz allein für eine Nacht oder länger zurückziehen, fasten, die Bibel lesen und beten. Besonders Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden, vor großen Entscheidungen stehen, nehmen dieses Angebot an, bitten um Heilung oder Orientierung und hoffen auf eine Antwort Gottes.

 

Wer nachts an diesen Gebetszellen vorübergeht, kann hören, wie darin laut geschluchzt, geklagt, gestritten, gebetet oder gesungen wird. Es sind Stätten des geistlichen Kämpfens.

 

Im Internet finden sich begeisterte Zeugnisse von Menschen, die hier auf dem Berg gebetet haben. Von dem Berg selbst wird dabei jedoch nie gesprochen, seine natürliche Schönheit und erhabene Höhe wird nicht erwähnt. Denn das Entscheidende spielt sich nicht oben auf dem Gipfel ab, sondern tief im Inneren derer, die sich in den Gebetszellen eingeschlossen haben.

 

Aus: Die seltsamsten Orte der Religionen

Der Berg der nächtlichen Gebete  Paju, Südkorea

Der  Prayer Montain  -  nahe der südkoreanischen Kleinstadt Paju an der Grenze zu Nordkorea hat für das Glaubensleben vieler  Christen eine unschätzbare Bedeutung.