20. Dezember |
„Nein“, sage ich, „das ist doch dein Bernd, schreib mal Bernd.“ Mutter sieht ihn strahlend an, lächelt verschmitzt und schreibt: Martin.
„Aber Mutter“, sagt Bernd und drückt sie. „Du weißt wohl nicht mehr, wer ich bin? Ich bin doch dein Bernd!?“ Sie nickt: „Doch, weiß ich.“
Und schreibt: Martin
Martin. Auch in den nächsten Tagen und bei allen weiteren Übungen: immer wieder Martin. Er heißt aber wirklich Bernd. Und in der ganzen Familie gab es nie einen Martin, auch unter den Freunden nicht.
Da fiel mir ein, dass die Mutter einmal erzählt hatte, es habe eine große Liebe gegeben, ehe sie den Vater heiratete. Den hätten aber die Nazis schon ganz früh abgeholt, ein Politischer.
Sie hat nie seinen Namen genannt, und ich ahne auf einmal, wie er hieß. Was macht unser Unterbewusstsein, unser Gedächtnis, unsere Seele, unsere Liebe mit uns?
Elke Heidenreich |
Meine Mutter hatte ihren ersten Schlaganfall mit neunzig Jahren ganz gut überstanden. Sie musste aber wieder schreiben lernen, die Hand bewegen, richtig denken.
„Wie heiße ich?“ frage ich sie. Die Mutter lacht. „Elke.“ „Schreib das!“ Sie schreibt Elke. „Wie heißt der Hund?“ „Mascha.“ Krakelig und stolz schreibt sie mit großen Buchstaben: Mascha. „Wer ist das?“
Die Freundin heißt Leonie. Mutter kritzelt: Leoni. Ein e fehlt. Wir lassen es durchgehen. Ich zeige auf meinen Mann, Mutters Schwiegersohn: „Und das ist..? Mutter schreibt: Martin.
Der Schwiegersohn heißt Bernd. Bernd und Mutter haben sich immer sehr gut verstanden, besser als Mutter und Tochter. |